Blinker.de Das Hörvermögen von Karpfen
Ruhe am Wasser?!
Früher Buschwerk, heute Bluetoothbox: Während früher absolute Stille am Wasser galt, wird diese Anglerweisheit heute kaum mehr befolgt. Tobias Steinbrück hält das für einen Fehler: Karpfen sind hellhörig und haben es faustdick hinter den Ohren. Also hinter der Schwimmblase. Ach, lesen Sie selbst …
Das Erste, was mir mein Opa für erfolgreiches Angeln mit auf den Weg gab, war: „ Suche ruhige Zonen am Gewässer, dort halten sich die meisten Fische auf und sei dort leise, bleibe unentdeckt, dann fängst Du auch was.“ „Opa muss es ja als Jäger wissen“, dachte ich mir, und folgte seinem Rat, so gut ich konnte. Ich setzte mich ins hinterste Eck des Vereinsteichs, kauerte mich lautlos und reglos ins Buschwerk. Opa hatte recht, nicht nur meine ersten Karpfen fing ich, viel mehr noch – ich konnte sie sogar ganz dicht am Ufer beobachten. Lautlos tauchte ich so in eine völlig neue Welt des Angelns ein. Doch wie gut ist das Hörvermögen von Karpfen wirklich? Wie hören Fische? Und was bedeutet das für uns Angler?
Der Teufelskreis der Radioangler
Schnell fiel mir aber auf, dass ich einer der wenigen war, die so fischten. Zu viele ältere und erfahrenere Angler angelten direkt aus dem Auto heraus. Wenn es kalt war, lief bei dem einen der Motor am Wagen, bei anderen lief das Radio, alles wirkte, als wäre das ganz normal. Freilich angelten die Alten weiter draußen als ich, aber gefangen haben sie meistens nichts – und wenn, bei Weitem nicht so viel wie ich mit der Pose direkt vor dem Schilf im hintersten Eck. Die Beschallung war bei vielen Anglern offenbar nötig, um sich die Langeweile zu vertreiben. Klar sie hatten Langeweile, weil nichts anbiss.
Die Radioangler von damals waren in einem Teufelskreis gefangen. Die Posen trieben leblos in Ufernähe, das Radio unterhielt die Angler und sorgte im selben Moment dafür, dass die Posen auch weiterhin leblos am Ufer ohne Aktion umhertrieben. Dadurch hatte das Radio wieder seine Daseinsberechtigung. Wer so angelt, fängt nichts. Fische können hören, auch wenn man bei ihnen keine Ohren erkennen kann. Heute gibt es sie immer noch, die Sorte Partyangler. Klirrende Bierkästen, laute Mucke und viel Tumult. Das Offensichtliche: Noch nie habe ich den Partymob einen Fisch fangen sehen. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Das Hörvermögen von Karpfen ist zu gut, sie kriegen alles genau mit.
Hörvermögen von Karpfen: Sie bemerken uns schnell
Im Wasser verbreitet sich der Schall mindestens viermal schneller als in der Luft aus. Schallwellen sind Druckschwankungen, die sich wellenförmig in einem Medium, in unserem Fall dem Wasser, ausbreiten. Diese Tatsache bedeutet, dass jeder Lärm – und wenn es nur ein Schritt am Kiesufer eines Baggersees ist – für Karpfen schneller und besser wahrnehmbar ist, als uns das lieb ist. Auf Grund der sehr guten Schallweiterleitung im Wasser sind Fische womöglich noch viel hellhöriger als wir Menschen.
Wer stalken geht, weiß es: Die Karpfen bemerken uns schneller als wir sie. Schon oft traf ich auf frisch eingetrübtes Wasser in unmittelbarer Ufernähe. In der trüben Wolke war jedoch kein Karpfen mehr zu Gange. Sie hatten mich bemerkt. Ähnlich ist es im Schlauchboot. Lässt man sich lautlos treiben, kommt man direkt an die Karpfen ran, setzt man einen Elektromotor ein oder gibt ein paar Paddelschläge ab, nehmen die Karpfen Reißaus.
Der Ruf der Nahrung: Auch den hören Fische!
Die Trommellaute, die der Karpfen selbst von sich gibt, liegen in einem tiefen (ca. 16-17 Hz, maximal gemessen 60 – 300 Hz) Frequenzbereich. Diese Laute geben sie vermutlich zur Kommunikation untereinander ab. Man kann also vermuten, dass sie mindestens tiefe Frequenzen sehr gut und weit hören können. Man geht jedoch davon aus, dass sie alle Frequenzen von 20 bis 1000 Hz ebenfalls sehr gut wahrnehmen, also auch Laute, die sie so nicht selbst erzeugen. Hinweise auf die gute Wahrnehmung hoher Frequenzen gibt es auch.
Wasserinsekten zum Beispiel geben sehr hohe Laute von sich, man spricht von einem Zirpen. Gerade im Frühjahr ist ein wahres Konzert der Wasserinsekten unter Wasser hörbar. Ruderwanzen sind zum Beispiel sehr gute Tenöre. Karpfen könnten also ihre „Ohren“ nicht nur dazu nutzen, um Gefahren zu erkennen und um untereinander zu kommunizieren, sondern sie könnten sie auch nutzen, um Nahrung aufzufinden – zum Beispiel Ruderwanzen, allgemein Wasserinsekten jeglicher Art, oder auch Kaulquappen. Alles, was unter Wasser kreucht und fleucht, macht hörbaren Lärm. Im Frühjahr ziehen Karpfen zielgerichtet in diese Flachwasserbereiche. Wir gehen immer davon aus, dass sie dies tun, weil dort das Wasser am wärmsten ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie auch dem Ruf der Naturnahrung folgen.
Wie hören Fische?
Hören tun sie mit Hilfe der Schwimmblase, welche mit einer Kette von kleinen beweglichen Knöchelchen (Webersche Knöchelchen, auch Weberscher Apparat) mit dem unteren Teil des Ohrlabyrinths verbunden sind. So werden selbst minimale Vibrationen der Schwimmblase auf das Innenohr übertragen. Die Schwimmblase dient also ein großer akustischer Resonanzkörper. Die Theorie, dass sich Karpfen beim Knacken von Muscheln oder Tigernüssen gegenseitig den Futterplatz verraten und sich somit gegenseitig anlocken, ist also gut nachvollziehbar und nicht weit hergeholt.
Die Schwimmblase dient aber nicht nur als Resonanzkörper, sondern kann auch Töne erzeugen, die o.g. Trommellaute. Diese Trommellaute sind besonders zur Laichzeit über ein Unterwassermikrofon (Hydrophon) zu hören. Wir können also davon ausgehen, dass sie sich über eine Art Kommunikation zum Liebesakt (Lockruf) treffen. Außerhalb der Laichzeit, von Sommer bis Herbst, sind Karpfen seltener, aber dennoch mit Trommellauten unterwegs. Gründe dafür sind nur schwer interpretierbar.
Hörvermögen von Karpfen: Können sich Fische warnen?
Vor vielen Jahren sackte ich meine Karpfen grundsätzlich in der Nacht, um sie am nächsten Morgen zu fotografieren. Das war vor 15 Jahren normal. Was mir schon sehr zeitig auffiel, war die Tatsache, dass ich nach dem Sacken, wenn ich dicht am eigenen Ufer angelte, nie einen zweiten Fisch nahe des Karpfensacks fing. Ich sackte die Karpfen nach dieser Erkenntnis immer weiter entfernt vom Angelplatz und konnte weitere Karpfen fangen. Die Vermutung liegt nahe, das Karpfen im Sack Laute von sich geben, die andere Karpfen warnen oder zumindest alarmiert. Die beste Lösung: keinen Karpfen mehr sacken.
Je kleiner und ruhiger, desto anfälliger
Wenn wir an einem Bahngleis oder einer dicht befahrenen Straße angeln, haben Karpfen gelernt, den Lärm nicht mit Gefahr in Verbindung zu bringen. Dieser Lärm gehört zu ihrem Lebensraum. An einem kleinen Waldsee, wo absolute Stille herrscht, sieht dies jedoch schon anders aus. Dort reagieren die Karpfen deutlich schreckhafter, sobald geangelt wird. Ein gutes Beispiel ist auch ein Badestrand. Dort springen und fressen die Karpfen sorglos zwischen den Badegästen. In Gewässern ohne Badegäste würden die Fische bei so viel Tumult Reißaus nehmen. Kiesgruben mit Baggerbetrieb sind also unempfindlicher als die kleine, ruhige Tongrube. Am Fluss, wo aufgrund von Schiffen und Strömung immer eine große Lärmkulisse zugegen ist, müssen wir uns wenig Sorge machen, dass wir die Karpfen verschrecken
Angeldruck bringt immer selben Lärm
Dennoch können Karpfen Lärm von Lärm unterscheiden. Während ihnen die Badegäste nichts tun, verstehen sie irgendwann, was einschlagende Bleie, Elektromotoren und Zeltheringe, die in den Boden gerammt werden, bedeuten. Angeldruck bringt immer denselben Lärm mit sich. An Gewässer mit Angeldruck suchen die Karpfen nicht umsonst das Weite. Erst wenn der Lärm nachlässt, verteilen sie sich wieder im Gewässer. Gerade an Paylakes hat es sich aus diesem Grund bewährt, die Ruten drei oder auch vier Tage am Stück liegen zu lassen.
Nahrungskonkurrenz egalisiert das Hörvermögen von Karpfen
Stürmt es oder regnet es, kommt es unter Wasser zu einer enorm lauten, aber natürlichen Geräuschkulisse. Diese natürliche Geräuschkulisse macht unsere Anglergeräusche (Bleieinschlag etc.) schwerer hörbar. Sie gehen also in den gewohnten natürlichen Geräuschen unter. Wir können somit effektiver angeln, wenn wir die Ruten bei Wind und Welle oder im strömenden Regen auswerfen, anstatt auf Windstille oder Regenpausen zu warten.
In einigen Seen reagieren Karpfen auch positiv auf Futtergeräusche. Gerade in Gewässern ohne viel natürliche Nahrung, wo unter den Fischen eine starke Nahrungskonkurrenz herrscht. Einschlagende Boilies durch das Wurfrohr, oder der permanente Aufprall einer Futterrakete wird dann zwangsläufig als positives Fresssignal eingeordnet, dass die Karpfen zielgerichtet anlockt. In kroatischen Baggerseen mit massivem Überbesatz machen sich das die Angler zu Nutzen. Unzählige Karpfen werden so direkt unter den einschlagenden Futterraketen gefangen.